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Chronische Schmerzen und Rente

Ich glaube es selber kaum, dass ich mal darüber schreibe. Doch es ist ein wichtiges Thema für viele, die sich mit chronischen Schmerzen herumschlagen: Rente.

Oh, ich ahne schon, das hier könnte etwas mehr werden. 😉


Wenn Du Dich mit diesem Gedanken herumschlägst, lass Dir gesagt sein, ich weiß, dass die meisten Menschen mit chronischen Schmerzen nicht wirklich in Rente gehen wollen, sondern sich eher gezwungen sehen, da es keinen anderen Ausweg zu geben scheint. Und irgendwie müssen wir ja auch auf unser finanzielles Auskommen achten!


Rente will geplant sein! Wenn Du einfach so da hineinstolperst, kann es eine recht ungemütliche Erfahrung werden. Deswegen erfährst Du in diesem Beitrag, was Du dabei beachten solltest.

Eine Person füllt einen Antrag aus.
Nicht nur der Rentenantrag an sich ist eine Herausforderung.

Inhaltsangabe


Tut Rente gut?

Viele von uns, vielleicht auch Du, träumen von etwas weniger Stress im Leben, mehr Ruhe und Zeit für die Dinge, die uns am Herzen liegen. Bringt die Rente das automatisch? Natürlich nicht. Sie kann aber auch dabei helfen. Andererseits hilft das Berufsleben den Alltag zu strukturieren und gibt vielen von uns auch eine Aufgabe und vielleicht auch einen Sinn. Wenn das in der Rente wegfällt, musst Du Dir das neu aufbauen, was nicht immer einfach ist. Wem das allerdings gelingt kann mit diesem Abschnitt im Leben gut fahren und vielleicht zu dem finden, was schon immer gesucht wurde.


Schwierig ist wiederum, dass Frührente von Patient*innen meist folgendermaßen beschrieben wird: „Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.“ Bevor Du loslegst, informiere Dich bei der Rentenversicherung, was Du dann bekommen wirst. Richte Dich darauf ein, dass es wahrscheinlich nicht zu viel sein wird. Auch hinzuverdienen kannst Du nur in einem gewissen Maß. Es ist wichtig, dass Du Dir das vorher durchrechnest. Bitte hol dir dafür Unterstützung (schau Dir dazu die Links am Ende des Beitrags an).

Es ist völlig klar, dass irgendwoher die Butter auf das Brot kommen muss, wenn Du wirklich nicht mehr arbeiten kannst. Genau dafür sind ja die Rentenleistungen auch gedacht.


Was sind also die Dinge, auf die Du achten solltest, wenn Du tatsächlich Rente beantragen möchtest?


Vorher probieren wieder fitter zu werden

Natürlich wäre es schöner, ganz normal weiter Dein Geld zu bekommen, oder? Vorausgesetzt, es geht natürlich! Auf die Beine zu kommen, dabei hilft Dir die Rentenversicherung und möchte auch sehen, dass Du da etwas unternommen hast, bevor Du die Rente beantragst. Hast Du das nicht, ist der weitere Weg in den allermeisten Fällen eh verschlossen.


Medizinische Rehabilitation

Das ist hier am wichtigsten, da sie ein Angebot der Rentenversicherung ist. Wenn diese nicht gelaufen ist und Du dort nicht arbeitsunfähig entlassen wurdest, wird es meistens nichts mit dem Rentenantrag.

Außerdem wird es hier auch schon schwierig, denn Du musst Dich entscheiden: „Nutze ich die Reha wirklich, damit es mir besser geht und riskiere arbeitsfähig entlassen zu werden? Oder ziele ich schon ab Anfang auf Rente? Dann darf es mir aber nicht besser gehen.“ Über diese Zwickmühle schreibe ich noch weiter unten.


Unterstützung

Bevor Du das alles angehst, sieh zu, dass Du Unterstützung erhältst. Rente beantragen und durchfechten kann ein Job für sich sein. Manchmal ist er sogar sehr anstrengend.

Du erhältst Unterstützung durch Selbsthilfeverbände, die Beratung bei der Rentenversicherung, dem VdK, Behindertenvertretungen (sofern sie für Dich zuständig sind) und manchmal gibt es auch Rentenberatungsstellen von den Landkreisen.


Wenn Du noch mehr Vorschläge hast oder ich etwas Wichtiges Vergessen habe, lass gerne unten einen Kommentar da.

Die gemeine Zwickmühle: Darf es mir besser gehen, wenn ich Rente will?

Rente aus Behandlungsseite

Dazu möchte ich erst einmal kurz schreiben, wie es vielen Behandler*innen geht, wenn sie vom Wunsch nach Rente erfahren. Da spielt sich meistens folgendes im Kopf ab: „Okay, ab jetzt kann ich nichts mehr für Dich tun! Wer Rente will, dem darf es nicht besser gehen!“


Dramatisch aber auch nicht ganz falsch. Äußerungen wie diese habe ich schon oft gehört, meistens von Ärzt*innen. Aufgeregt habe ich mich darüber auch schon oft, denn ich sehe viele Menschen, die ihren Kopf schon fast unter dem Arm tragen und denen so vorgeworfen wird, ihre Situation schlimmer darzustellen als sie sei.


Etwas Wahres beinhaltet die Äußerung allerdings auch. Weil Rente ja darauf basiert, dass ich wirklich nicht mehr arbeiten kann. Daher darf es mir ja tatsächlich nicht gut gehen. Klingt merkwürdig, nicht? Finde ich auch während ich das hier schreibe. Lass uns mal von der anderen Seite schauen: eine deutliche Verbesserung im Befinden, was würde das für die Arbeitsfähigkeit bedeuten?


Natürlich darfst Du jetzt denken: Wie? Sobald ich mich besser fühle, soll ich auch wieder arbeiten können? Wir wissen beide, dass das so nicht unbedingt hinhaut… aber weiß das auch der Gutachter, der Dich gerade mal zwei Stunden (wenn es hochkommt) sieht?


Was viele mit chronischen Schmerzen nicht wissen, ist, dass Rente nicht so einfach vom Stapel weggegeben wird. Ich zumindest erinnere mich an viele Postbeamte, die Reihenweise in den Ruhestand versetzt wurden, auch ganz ohne große Malessen. Doch diese Zeiten haben sich geändert. Und aus dem Staatsdienst in den Ruhestand zu gehen ist auch noch einmal etwas anderes als in die ganz normale Rente! Andere Töpfe aus denen das Geld kommt und andere Regelungen.


Es sei denn, es liegt eine wirklich beeinträchtigende Erkrankung zu Grunde (nicht die Schmerzen an sich), wird es für viele oft langwierig und schwierig, Rente zu bekommen. Es warten meist eine Reihe von Gutachten auf Dich. Und wenn Du mal beim Gutachter oder der Gutachterin warst, dann weißt Du wahrscheinlich, dass das nicht unbedingt eine schöne Erfahrung ist. Natürlich ist jeder Gutachter anders, doch meine jahrelange Arbeit mit Schmerzpatient*innen hat mich gelehrt, dass nach Gutachten oft ein paar Stunden Therapie extra wieder notwendig sind, damit meine Patient*innen wieder auf die Spur kommen.


Desweiteren werden viele plötzlich zum Spielball zwischen Arbeitsagentur und Rentenversicherung. Auch das kann blöde sein, da Du evtl. Monate auf Dein Geld warten musst - jeder zeigt auf den anderen, wer für die Auszahlung zuständig ist.


Die Rente ist dafür da, Dich abzusichern!

Natürlich kann es auch ganz glatt laufen… bei denen, mit denen ich zu tun habe, ist das leider selten der Fall. Das heißt jetzt nicht, dass Du es nicht machen solltest, wenn Du wirklich nicht mehr arbeiten kannst. Dafür genau ist die Rente ja da, uns abzusichern, wenn es nicht mehr anders geht oder wir ein gewisses Alter erreicht haben.


Was ist die Erfahrung von Schmerzpatient*innen?

Dieser Text ist Teil unseres Newsletters (den bekommst Du ganz nebenbei hier: https://www.schritt-ins-leben.de/atempause) und löste eine Reihe Zuschriften aus der Community aus. Für eine bin ich vor allem dankbar und finde sie ganz wunderbar geschrieben. Mit ihrer Erlaubnis möchte ich gerne die Sichtweise von Christina, die mir einen ziemlich langen Brief hierzu schrieb, zeigen. Dieser Text ist in meinen Augen großartig, da die Geschichte von Christina viele Punkte zusammenfasst und eine sehr realistische Perspektive zeigt. Vielleicht findest Du Dich ja im ein oder anderen Punkt wieder.


„Lieber Gideon,


vielen Dank für Deine beiden Newsletter zum Thema Rente mit chronischen Schmerzen!


Da ich selbst betroffen und diesen Weg gegangen bin, möchte ich gerne meine Erfahrungen mit Dir teilen.


Auch bei mir war es so, dass ich nicht wirklich in Rente gehen wollte. Für mich war es eine Notlösung, da alle meine Versuche wieder arbeitsfähig zu werden gescheitert waren und ich eine finanzielle Sicherheit brauchte.

Ich bin 35 und seit 2019 voll erwerbsminderungsverrentet wegen Depression und Angststörung, chronischer Schmerzen und einer degenerativen Halswirbelsäulenerkrankung. Ich leide schon seit etwa 15 Jahren darunter.


Während meines Studiums der Terminologie und Sprachtechnologie in Köln begann ich mit einer Verhaltenstherapie. Nach dem Studium besuchte ich eine Tagesklinik und wechselte zur Psychoanalyse. Ich arbeitete vier Jahre lang in meinem erlernten Beruf, wurde körperlich und psychisch sehr krank und besuchte drei Monate eine stationäre Klinik. Danach kündigte ich meinen Job und versuchte mithilfe einer beruflichen Reha in der Arbeitswelt wieder Fuß zu fassen. Ich fand einen neuen Job, wurde aber nach einem Jahr schon wieder so krank, dass ich den Weg zur Arbeit nicht mehr schaffte. Es folgten erneut eine Tagesklinik sowie eine Verhaltenstherapie. Zuletzt kam die Rentenversicherung auf mich zu und verordnete eine medizinische Reha, die ich arbeitsunfähig begann und auch so wieder verließ.


Leider hatte ich nach all diesen Versuchen keine Hoffnung und keine Kraft mehr und stellte den Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Meine Erwartung war, dass ich mit der Rente zur Ruhe kommen könnte und mehr Zeit hätte, gesund zu werden. Ich könnte in Ruhe meine Therapien verfolgen, mich auf mich konzentrieren und im Leben etwas verändern, z.B. mehr Sport machen oder meine Ernährung umstellen. Vielleicht würde ich auch herausfinden, was beruflich besser zu mir passt.


Was ich jedem bei Antragsstellung empfehlen kann: die Frage "Welche gesundheitlichen Probleme belasten Sie zurzeit besonders?" möglichst ausführlich zu beantworten. Ich habe die Chance genutzt, auf mehreren Seiten darzulegen, welche Probleme ich habe, wie sie mich und meine Mitmenschen einschränken und belasten und was ich bisher alles unternommen habe, um meinen Zustand zu verbessern, bzw. inwieweit mir die Rente dabei helfen könnte. Ich habe mir gedacht, am anderen Ende sitzt auch nur ein Mensch, und er wird das schon lesen, was ich da geschrieben habe, und vielleicht trägt es zu einer Entscheidung zu meinen Gunsten bei.


Auch beim Antrag auf Weiterbewilligung habe ich wieder Bezug auf die oben genannte Frage genommen und erklärt, was ich in der Zeit unternommen habe, was sich verändert oder verschlechtert hat und welche Probleme ggf. neu dazugekommen sind.


Natürlich musste auch ich zum Gutachter, und davor hatte ich richtig Angst, aber auch hier hat es mir geholfen, einfach ehrlich zu sein, also weder übertreiben, noch versuchen sich zusammenzureißen. Bei mir ist es z.B. so, dass man mir häufig nicht ansieht, wie schlecht es mir geht, und auch das habe ich gesagt. Die zwei Stunden waren unfassbar anstrengend, aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich verständlich gemacht hatte.


In meinem Fall war es so, dass ich Glück hatte und mir die Rente bewilligt wurde. Wenn sie abgelehnt wird, würde ich hartnäckig bleiben und Einspruch einlegen. Ich denke, das kann sich lohnen.


Da ich weder viele Jahre noch Vollzeit gearbeitet habe, ist der Rentenbetrag relativ gering, aber dennoch mehr, als ich erwartet hatte. Zusammen mit dem Verdienst meines Mannes kommen wir gut über die Runden. Alleine könnte ich hier in Köln mit dem Geld nicht leben. Seit 2017 darf man bei voller Erwerbsminderungsrente 6300€ im Jahr dazuverdienen. Ich finde es ganz schön, dass es die monatliche Begrenzung nicht mehr gibt.


Zu Beginn des Rentenbezugs hab ich mich oft gefragt, ob mir die Rente überhaupt zusteht. In meiner Familie z.B. kam tatsächlich die Meinung auf, dass ich sie nicht verdient hätte, da ich ja in meinem Leben noch nicht so viel gearbeitet habe und ständig krank wäre. Ich kann verstehen, dass bei jemandem, der viel und in einem stressigen Job arbeitet, eine Art Missgunst oder Neid oder ein Gefühl der Ungerechtigkeit aufkommt. Andererseits kann jeder mal krank werden, und da kann man doch froh sein, dass es die Möglichkeit der Erwerbsminderungsrente gibt, genauso wie Arbeitslosen- oder Krankengeld.


Ich habe mich auch gefragt, ob ich anderen jetzt immer zeigen oder beweisen muss, dass die Rente bei mir gerechtfertigt ist oder ob es auch Tage geben darf, an denen es mir gut geht und ich offensichtlich viel schaffe. Was denken die Nachbarn, wenn ich im Garten Rasen mähe oder schwere Einkäufe schleppe? In solchen Fällen ist die Rente keine Erleichterung für mich, sondern ich mache mir damit eher selber Druck.


Anfangs ist es mir nicht schwergefallen, meinen Tag zu strukturieren, da ich generell lieber alleine bin und mich selbst gut beschäftigen kann. Im Garten gibt es immer etwas zu tun, ich kann Bücher lesen, Online-Kongresse zu Gesundheitsthemen verfolgen, Briefe schreiben, basteln, Dinge reparieren, ausmisten...


Mittlerweile komme auch ich an meine Grenzen, da mir der Sinn oder das große Ganze fehlt, die Hauptaufgabe, wie man sie im Job hat. Ich habe zwar hin und wieder Nachhilfe gegeben, Katzensitting gemacht oder den Nachbarn bei irgendwas geholfen, aber das ist nicht das gleiche. Mit den Jahren fühle ich mich wertloser, hoffnungsloser, kraftloser und auch einsamer. Früher auf der Arbeit war ich ja gezwungen, mit Menschen zusammen zu sein. Das hat mich zwar auch immer sehr angestrengt, aber letztendlich hat es mir glaub ich gut getan.


Manchmal fühle ich mich wie ein "richtiger" Rentner: Die Zeit scheint schneller umzugehen, während ich selber langsamer werde. Alles wird anstrengender, ich jammere mehr, habe mehr Wehwehchen, bin weniger belastbar... erinnert mich stark an meine Mutter und meinen Onkel, die auch gerade in Rente gegangen sind!


Ich finde es auch nicht so leicht, Freunde zu finden, denn wenn ich die meiste Zeit habe, gehen sie arbeiten, und wenn sie abends Zeit haben, bin ich meistens erschöpft. Außerdem geht es beim ersten Kennenlernen natürlich um den Job, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Karriere für viele tatsächlich sehr wichtig ist. Hinzu kommt in meinem Fall, dass ich durch meine Erkrankungen und den finanziellen Nachteil an vielen Dingen nicht teilnehmen kann oder öfter absage. Dann enstehen Gefühle wie "Ich schaffe es nicht" oder "Ich kann mit denen nicht mithalten". Das ist natürlich mein persönliches Problem, an dem ich arbeiten muss, aber ich finde, durch die Rente hat sich das noch mal verstärkt.


Manchmal habe ich den Eindruck, ich hätte mich mit der Rente selbst auf ein Abstellgleis gebracht. Vorher wurde man noch regelmäßig vom Arbeitsamt oder der Kranken- und Rentenversicherung angeschrieben, jetzt meldet sich niemand mehr. Als ich beim Zahnarzt auf dem Stuhl saß und auf dem Monitor meine Daten sah, stand dort rot unterlegt "Rentner". Hin und wieder fragen Ärzte auch, warum ich denn Rentner sei, was mir immer noch unangenehm ist. Und eine neue Psychotherapie konnte ich auch nicht so ohne weiteres beginnen. Dafür wurde erst ein Gutachter eingeschaltet.


Auch in der Reha wurde mir bereits gesagt, dass es nicht einfach sei, aus der Rente wieder herauszukommen, wenn man irgenwann wieder arbeiten möchte. Ich glaube aber, wenn man wirklich weiß, was man will, findet man irgendwie einen Weg. Und es gibt ja auch noch Vitamin B oder eine Selbstständigkeit!

Ich hoffe, meine Sicht auf die Rente kommt hier nicht zu negativ rüber. Es gibt auch Vorteile, wie günstige Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel oder stark ermäßigter Eintritt im Zoo! Außerdem freuen sich die Nachbarn, wenn immer jemand da ist, der Pakete annehmen oder sich um Wohnung und Haustier kümmern kann, wenn sie in Urlaub sind.


Jeder ist anders, und jeder hat wohl andere Schwierigkeiten oder Leichtigkeiten mit der Verrentung. Nach Deinen Mails habe ich mich einfach eingeladen gefühlt, etwas dazu zu sagen, und das sind meine persönlichen Erfahrungen, die ich teilweise so auch nicht erwartet hätte. Ich fände es übrigens auch spannend zu erfahren, was andere dazu sagen. Vielleicht wird es ja noch einen Teil 3 zur Rente mit chronischen Schmerzen geben :-)


Hab einen schönen Tag und liebe Grüße,


Christina“

Was denkst Du über diese Punkte? Lass es uns in den Kommentaren wissen. Gerne kannst Du den Text auch mit anderen Teilen, für die er vielleicht nützlich sein kann.


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