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Warum tut es unterschiedlich weh? - Heute mal was zu Schmerzarten

Aktualisiert: 15. Juni 2022


1. Die Schädigungsfasern im Körper melden sich Die weitaus häufigste Schmerzart ist der sogenannte nozizeptive Schmerz. Hier muss man zuerst wissen, dass die meisten Bereiche in unserem Körper von spezialisierten Fasern verschiedener Art durchzogen sind, die melden, wenn etwas nicht stimmt, z.B. eine Verletzung vorliegt, eine anhaltende Verspannung der Muskulatur oder eine Schädigung vom Gewebe (Muskel, Sehnen, Knochenhaut, Blutgefäße usw.). Dabei entstehen Entzündungen, die diese spezialisierten Nerven reizen. Diese werden dann aktiv und melden an das Hirn, dass hier eine Schädigung vorliegen muss.

Je nachdem Welche Fasern den Schmerz melden fühlt sich das für uns ein wenig anders an. Wenn wir uns chronische Schmerzen anschauen, so fallen viele Formen von Rückenschmerzen, Schmerzen durch Entzündungen (beispielsweise Rheuma, entzündliche Darmerkrankungen und Arthrose) oder auch Spannungskopfschmerzen und Migräne hierunter. Dies sind natürlich nicht die einzigen Schmerzarten, die so entstehen, aber wohl die am verbreitetsten.


2. Hilfe, die Nerven sind angegriffen

Die zweithäufigste Art von Schmerzen betrifft unsere Nerven (Neuropathie). Sind viele Nerven betroffen, z.B. einen ganzen Bereich des Körpers betreffend, dann sprechen wir von Polyneuropathie. Werden diese direkt geschädigt oder gereizt so melden auch sie sich zu Wort und es entsteht ein etwas unterschiedlicher Schmerz. Dieser wird oft als brennend oder kribbelnd, wie Ameisen auf oder unter der Haut beschrieben.

Manchmal entsteht auch eine Körperempfindung wie beim Kontakt mit Strom (elektrisierend oder einschießend wie ein Stromschlag). Letzteres ist häufig der Fall wenn beispielsweise der große Gesichtsnerv (Trigeminus) betroffen ist. Nervenschmerzen können durch Unfälle, Abnutzung anderer, den Nerven naher Körperstrukturen (z.B. an der Wirbelsäule), Viren (z.B. im Verlauf einen Gürtelrose - Herpes Zoster) aber auch als Folgeerkrankung von „Zuckerkrankheit“ (Diabetes Mellitus) und Alkoholabhängigkeit entstehen. Was die meisten nicht wissen ist, dass Alkohol in höherer Konzentration Nerven zerstört. Beim regelmäßigen Trinken ist der Alkoholgehalt im Blut auerhafter erhöht, dadurch geht immer ein bisschen mehr an den Nerven kaputt.


3. Da fehlt was und tut trotzdem weh - Phantomschmerz

Phantomschmerz ist bei Weitem eine der merkwürdigsten Schmerzformen. Schließlich tut dabei ein Körperteil weh, der gar nicht mehr da ist. Es wird also eine Schädigung gemeldet, wo nichts mehr ist. So komisch das klingt, so viel zeigt uns das über den Teil der Schmerzverarbeitung, welcher im Gehirn stattfindet. Hier geschieht nämlich bei allen Schmerzarten das Entscheidende. Die Schädigungsfasern, die über den Körper verteilt sind, melden ja eben nur eine Schädigung, sie sind nicht das Gefühl von Schmerz. Ob Schmerz Schmerz ist, wird im Gehirn entschieden und daran sind viele Prozessen beteiligt. Die Empfindung von Schmerz entsteht also im Gehirn und nicht da, wo die Schädigung stattgefunden hat. Man kann sich vorstellen, dass unser ganzer Körper in einem Teil unseres Gehirns abgebildet ist. Da ist ein Bereich für das Gesicht zuständig, einer für die Hände, einer für die Füße, den Bauch usw. Wenn jetzt eine Gliedmaß amputiert wurde oder durch einen Unfall zerstört wird, heißt das nicht, dass der Bereich im Kopf, wo die Gliedmaß repräsentiert ist, auch gleich gelöscht wird. Nein, unser dieser Bereich funktioniert weiter und wenn da viel Schmerz war, kann von hier weiterhin das Gefühl von Schmerz ausgelöst werden und dann fühlt es sich so an, als würde beispielsweise die fehlende Hand noch weh tun. Am Phantomschmerz zeigt sich am deutlichsten, dass es auf die Schmerzverarbeitung im Kopf ankommt.


4. Die Zentrale bekommt es nicht geregelt - zentraler Schmerz

Da der zentrale Schmerz zum Glück recht selten vorkommt, bekommt er hier auch nur einen kleinen Absatz. Diese Art von Schmerz entsteht durch Erkrankungen im Gehirn. Ein Schlaganfall oder ein Tumor in bestimmten Regionen, z.B. dem Thalamus, führt zu Schmerzen, die manchmal eine recht merkwürdige Erscheinungsform haben - vielleicht tut ganz exakt eine Körperhälfte weh. Diese Schmerzform spricht auch auf viele Medikamente gar nicht an. Diese Diagnose wird meistens von Spezialisten, z.B. Neurologen gestellt und ihr geht meist eine Menge Diagnostik voraus.


5. Eigentlich ist der Körper in Ordnung, trotzdem meckert er - somatoformer Schmerz

Das hier ist die Schmerzform, die mit die meisten Menschen betrifft, die aber auch am meisten umstritten ist und gleichzeitig die größten Fragezeichen in den Köpfen der Betroffenen hinterlässt. Der Körper tut weh und kein Arzt findet einen Grund. Das alleine kann einen schon ganz schön durcheinanderbringen. Oft haben die Betroffenen die Idee als Simulanten zu gelten und nicht ernst genommen zu werden. Sie stellen sich und die Reaktion der anderen auf ihr Leid in Frage. Bis heute ist es noch so, dass eine Reihe von Therapeuten ihnen auch zu verstehen gibt, dass der Schmerz „nur eingebildet“ ist. Gleich vorweg - das ist totaler Blödsinn! Da ist tatsächlich Schmerz - es fehlt nur der kranke Körperteil dazu. Der Schmerz ist NICHT eingebildet!

Wie kann es nun dazu kommen, dass unser Körper sich mit Schmerzen meldet, ohne dass etwas kaputt ist? Hier kann der Schmerz auch als Notruf verstanden werden - nämlich, dass etwas anders im Leben nicht stimmt. Ich stecke fest oder habe vielleicht ein Zeit mit viel, viel Anspannung und Stress erlebt, bin dabei aus dem Gleichgewicht gerutscht und nun sagt mir mein Körper, dass ich in eine wenig hilfreiche Richtung im Leben gehe und mich vielleicht erst einmal um etwas anders (vielleicht mich selber?) kümmern sollte. Eine Sonderform entsteht, wenn wir ganz schreckliche Schmerzerfahrungen machen - beim Erfahren von Gewalt, Vergewaltigungen, Unfällen usw. Dabei kann es passieren, dass neben anderen Sinneseindrücken eben auch der Schmerz im Gedächtnis so gespeichert wird, dass er unter bestimmten Umständen immer wieder abgerufen wird. Dann tut es plötzlich weh wenn jemand sich von hinten nähert, ich mit Partner/Partnerin im Bett zärtlich sein will oder mir ein Auto entgegenkommt, wie es der Unfallgegner fuhr - manchmal muss ich nur daran denken und mein Kopf erinnert sich an den Schmerz, obwohl ich momentan ganz in Sicherheit bin. Fachleute sprechen dabei von Intrusion. Diese Art von Schmerz verschwindet eher bei erfolgreicher Traumatherapie - mal eine Ausnahme zu den sonst so zähen chronischen Schmerzen.


So, das war nur ein kurzer Abriss hier und sicherlich nicht erschließend, wenn ich mir so die ganze große Landschaft von dem anschaue, was weh tun kann. Gerne wird so eine Art Rangliste aufgestellt, was denn nun am schlimmsten ist. Ich weiß nicht, ob das wirklich hilfreich ist oder mehr dem absolut verständlichen Bedürfnis entspringt, mit seinem Leid gesehen zu werden. Meine professionelle, aber auch persönliche Erfahrung ist, dass Schmerz, egal welcher, eine nach oben offene Skala hat, wie heftig er uns erwischen kann. Insofern sind Abstufungen hier nicht so mein Ding, vor allem, da sie ja immer beinhalten, dass andere sich in ihrem Leid nicht gesehen oder herabgesetzt fühlen - das hat keiner gern. Schmerz ist Schmerz mit all seinen Facetten und unterschiedlichen Stärken, und er wirkt einfach unterschiedlich behindernd in unserem Alltag. Ich glaube darauf können wir uns gut einigen.


Literatur:

Nobis, H-G. et al. (2020). Schmerz eine Herausforderung - ein Ratgeber für Betroffenen und Angehörige. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.

Seemann, H. (2019). Freundschaft mit dem eigenen Körper schließen: Über den Umgang mit psychosomatischen Schmerzen. Klett-Cotta.

Seemann, H. (2019). Mein Körper & Ich - Freund oder Feind? Klett-Cotta.

Parks, E. (2020). Chronic Pain Rehabilitation: Active pain management that helps you get back to he life you love. Wandering Words Media.


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