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Das größte Problem bei chronischen Schmerzen: Stress & Angst


Angst, Stress

Heute will ich Dir zwei Weggefährten vorstellen: Angst und Schmerz. Das sind Best Buddys, sozusagen, und kommen fast immer im Schulterschluss. Vielleicht kennst du das selber, wenn die Schmerzen zunehmen, steigt unsere Anspannung. Ich zumindest kenne keinen Schmerzpatienten, der so ganz locker ist wenn der Schmerz zuschlägt. Tatsächlich erweist sich genau das in der neueren Schmerzforschung, die von den Neurowissenschaften abgeleitet wird, als enorm wichtigen Faktor zur Entstehung von chronischen Schmerzen und deren Aufrechterhaltung (*3).


Warum ist das mit der Angst so?

Schmerz weißt uns auf eine mögliche Gefahr in unserem Organismus hin. Daher ist es eine gute Idee von der Natur, dass die Schmerzverarbeitung im Gehirn, zu Teilen die gleichen Bereiche nutzt, wie die Angstverarbeitung. Stress- und Angsterleben gehen also automatisch mit Schmerzen einher. Das scheint nicht nur sinnig, sondern ist ein Überlebensmechanismus, der unter anderem dafür gesorgt hat, dass unsere Spezies auf dieser Welt überlebt. Da rede ich hier also nicht von so einem kleinen, unangenehmen Nebeneffekt, bei dem die Evolution wohl irgendwie falsch abgebogen ist, sondern einem handfesten: Darum-gibt-es-uns-noch!

Wenn es weh tut, dann muss etwas kaputt sein!

Ist es schlimm, dass unser Körper so reagiert? Eigentlich nicht, so lange es sich um Schmerzen aufgrund einer Verletzung oder gefährlicheren Erkrankung handelt. Allerdings entsteht so die Annahme, dass immer, wenn etwas in unserem Körper weh tut, auch etwas kaputt oder zumindest beschädigt sein muss. Das ist bei weitem nicht so! Was wir als Schmerz erleben entsteht im Gehirn. Worüber die wenigsten informiert sind (oder es wahrhaben wollen) ist, dass es dafür gar keine Verletzung oder Erkrankung im Körper braucht. Der Schmerz kann gelernt sein (siehe auch in meinem Video: Chronische Schmerzen: Dein Gehirn entscheidet), bei laufender Alarmbereitschaft des Gehirns auch einfach so ausgelöst werden oder anhaltender Stress macht uns schmerzsensibler und angespannter. All das trägt dazu bei, dass es ohne ernsthafte Verletzung in uns weh tun kann. Das ist nicht eingebildet, durchgeknallt oder psychotisch, das ist völlig normal und gilt für die meisten Fälle chronischer Schmerzen, unter denen Millionen von Menschen leiden. Wir befinden uns also in bester Gesellschaft.

Außerdem gibt es natürlich noch eine ganze Reihe von Menschen mit drunterliegenden Erkrankungen wie Rheuma, Morbus Crohn usw. Hier ist natürlich zuerst einmal eine Erkrankung zu behandeln … macht das weniger Angst, weil ich weiß was es ist? Für die meisten Patienten nicht. Und so spielt Angst eine ebenso große Rolle bei diesen Schmerzen.

Angst im Gehirn

Gehirn, limbisches System

Angst versetzt unser Gehirn auf höchste Alarmstufe. Das passiert auch wenn die Schmerzen chronisch werden und keine Erkrankung mehr darunter liegt. Es reicht, dass ich denke, es könnte etwas kaputt sein oder es sich so anfühlen. Das ist nicht gut, wenn es um chronische Schmerzen geht! Diese hohe Erregung in unserem Gehirn führt nämlich zu vielen Dingen, die die Chronifizierung vorantreiben. Außerdem kennst Du das vielleicht: das Gefühl unter Dauerstrom zu stehen? Nie richtig zur Ruhe kommen bei den Schmerzen? Selbst Erschöpfung, Traurigkeit und Frust sind irgendwie stressig? Stress und Angst sind der Treibstoff für Schmerzen, sie tragen massiv zur Sensitivierung und Chronifizierung bei. Wie ineinander fassende Zahnräder bedingen sich Schmerz und Angst/Stress gegenseitig.


Angst fasse ich hier ganz weit. Dazu gehören auch Gefühle wie Verzweiflung, Stress, Anspannung, Frust, Wut … eben alles, was mit viel Erregung in unserem Gehirn und Körper einhergeht. Dies wiederum führt zu mehr Schmerz, was wieder zu mehr Angst führt und damit zu mehr Schmerzen. Ein mieser Teufelskreis (öh, wie sollte ein Teufelskreis denn sonst sein … außer mies?). Auch das Verhalten ändert sich. Und das richtet sich zumeist mehr nach den Gefühlen als der Körperempfindung, die wir gerade so unangenehm erleben.

„Angst vor Schmerzen und was wir diesbezüglich tun, ist beeinträchtigender als der Schmerz selbst.“ Dieses Zitat stammt von einem britischen Orthopäden namens Gordon Waddell (The Back Pain Revolution, 1998). Da geht mir nur noch durch den Kopf: „Wenn schon ein Orthopäde das sagt, … vor über 20 Jahren …“ 😮

Eigentlich ist das eine einfachere Formel für die Bestandteile des Schmerzes, wie ich sie dir schon einmal früher vorgestellt habe: Schmerz=Körperempfindung+Gefühl+Gedanke, was dann zu unserem Verhalten führt (hier ein weiteres Video:https://www.schritt-ins-leben.de/post/schmerz-ist-mehr-als-eine-körperempfindung-und-warum-jeder-seinen-eigenen-schmerz-hat). Das Verhalten wiederum wirkt sich massiv auf die Chronifizierung aus. Wenn es nun durch unsere Gefühle bestimmt wird, sind wir im Fall von Schmerzen geliefert, denn der Stress kommt ja Freihaus mit!

Schmerz ist nicht gefährlich

Experte

Das eigentliche Problem ist, dass die Schmerzen ja der Anzeiger für eine Gefahr durch Krankheit oder Verletzung sein sollen. Dies gilt aber nicht mehr für die meisten Formen von chronischen Schmerzen. Und darüber hinaus: Schmerz an sich ist niemals gefährlich! Ja, er fühlt sich so an, dafür sorgt die Angst. Doch die Empfindung an sich ist nicht gefährlich. Damit wir uns nicht falsch verstehen, eine darunter liegende Erkrankung kann sehr wohl gefährlich für uns sein, doch die Schmerzen sind es nicht. Er besteht einfach nur aus den oben genannten Komponenten - zu allererst aus der Körperempfindung.


Noziplastischer Schmerz

Wenn jetzt während der Chronifizierung die Lernprozesse und damit Veränderungen in unserem Gehirn weit genug fortgeschritten sind, kann alleine unser Gehirn die Schmerzen auslösen. Das nennen wir noziplastischen Schmerz, meist auch als Schmerzgedächtnis bezeichnet. Diese Form der Schmerzen stellt eine der häufigsten Schmerzformen dar und wird selten als solche erkannt. Warum? Eigentlich nur, weil die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zu chronischen Schmerzen bis jetzt so gut wie gar nicht in die Behandlung eingeflossen sind (*1). Erste Versuche, dies zu integrieren sehen sehr vielversprechend aus und die psychologischen Studien sind vielversprechender als fast alles andere, was wir bisher getan haben.


Welche Rolle unser Verhalten spielt

Bernd hatte immer wieder einschließende Schmerzen im unteren Rücken. Er arbeitete „viel und gut“ im einer Straßenplanungsfirma und sei dadurch ständig unter Zeitdruck. Oft merke er im Trubel gar nicht, wie angespannt er sei und dann … zack … drehe er sich oder wolle einfach nur aufstehen und das Leben werde zur Qual. Er merkt schon, dass er immer vorsichtiger werde und manche Bewegungen mit Bedacht wähle oder bestimmte Tätigkeiten und Körperhaltungen vermeide. Ärzte hätten bei ihm altersbedingte Abnutzungen im Rücken gefunden, aber auch nicht mehr. Das empfand er fast als beleidigend, so fühlte es sich wahrhaftig nicht an und wenn er etwas dagegen unternahm, dann half es manchmal kurzfristig. Die Einschränkungen nahmen zu und der Gedanke, sich krankschreiben zu lassen machte ihm zusätzlich sorgen. Wer sollte seine Position übernehmen können? Nachher ist nur viel mehr Arbeit da als jetzt? Er müsse die ganzen Fehler dann ausbügeln. Und, und, und …

Kennst du das (zumindest in Teilen)? Es geht vielen Schmerzpatienten wie Bernd - und auch ich finde mich in Teilen wieder.

Hochspannung

Unser Gehirn ist schon durch den Alltag, den wir besonders gut machen wollen auf Hochspannung, dann springt das zweite Warnsystem nach dem Stress an, der Schmerz. Dieser erzeugt nur mehr Ängstlichkeit, bei Bernd in der Bewegung, was zu Schonverhalten und Vermeidung führt, weil wir ja keine Schmerzen haben wollen (ist ja auch irgendwie logisch und nachvollziehbar, oder?).

Dieses Verhalten bestärkt unser Gehirn nun aber in der Annahme, dass etwas ernsthaft im Körper kaputt sei und wir entwickeln mehr Angst vor bestimmten Bewegungen, Empfindungen oder Situationen, die das Auslösen könnten. Das wiederum hebt die generelle Anspannung und macht Schmerzen wahrscheinlicher.

Genau das, nennen wir einen Teufelskreis.

Was heißt das für die Behandlung?

„Was tun?“ sprach Sokrates und rieb sich die Platte. Einfache Antwort: Lernen so mit dem Schmerz so umzugehen, dass Du keine Angst mehr haben musst. Das braucht aber Übung! Darauf zugehen, gut mit Dir dabei umgehen. Nach und nach lernen, Deinen Schmerzen aus einer guten Position heraus zu begegnen und Dein Gehirn zu beruhigen. Ja, das kannst Du! Ich weiß das, weil ich es schon vielen, vielen Menschen beigebracht habe und es auch selber für mich praktiziere. Momentan sind zwei Ansätze in der Schmerzpsychotherapie, die das in den Vordergrund gerückt haben. Zum einen die Akzeptanz und Commitment Therapie (ACT) und der neuere Ansatz der Pain Reprocessing Therapy (PRT). Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie überdurchschnittlich gute Ergebnisse u.a. damit erzielen, dass sie die Angst vor Schmerzen deutlich reduzieren. (*2, *3)


Das Geheimnis ist dabei, dass es eigentlich gar nicht so sehr um die Körperempfindung Schmerz geht, sondern eigentlich - sozusagen durch das Hintertürchen - um die Angst, die sich verringert. Übrig bleibt dann eine Empfindung und mehr nicht. Mit dieser kannst du dann aber viel leichter und besser umgehen. Das ist einer der wirklich coolen Bausteine von unserem Programm Schritt ins Leben!

Ich freue mich auf einen Schritt ins Leben mit Dir,


Dein Gideon


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  1. Cohen, S. Vase, L. & Horten, W. (2021). Chronic pain: an update on burden, best practices, and new advances. The Lancet. 397:2082-97.

  2. Hughes, L. et al. (2017). Acceptance and Commitment Therapy (ACT) for Chronic Pain. The Clinical Journal of Pain. 33:6, 552-568.

  3. Ashar, Y. et al. (2021). Effect of Pain Reprocessing Therapy vs Placebo and Usual Care for Patients With Chronic Back Pain - A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. doi:10.1001/jamapsychiatry.2021.2669

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