Chronische Schmerzen, ein unerwünschter Begleiter, der oft hartnäckig festhält, kann jeden Tag zu einem ekligen Kampf machen. Trotz unermüdlicher Versuche, Linderung zu finden – sei es durch Medikamente, Therapien oder alternative Ansätze – bleibt der anhaltende Schmerz bestehen und legt sich wie ein Schatten über das Leben. Dahinter wirkt nicht selten eine subtile, aber mächtige Kraft, die den Umgang mit chronischen Schmerzen beeinflusst: die erlernte Hilflosigkeit. In diesem Blog-Artikel gehe ich auf die Ursprünge dieses psychologischen Konzepts ein, seine Verbindungen zu chronischen Schmerzen und vor allem darauf, wie Du Dich aus seinem Griff befreien kannst.
Woher kommt die Idee der erlernten Hilflosigkeit
Um die Auswirkungen der erlernten Hilflosigkeit auf chronische Schmerzen zu verstehen, ist es wichtig, ihre Wurzeln zu verfolgen. Entwickelt vom Psychologen Martin Seligman in den 1960er Jahren, entstand die erlernte Hilflosigkeit aus Experimenten mit Tieren, hauptsächlich Ratten. Sie erhielten ständige, unkontrollierbare Elektroschocks. Egal, was sie taten, sie konnten ihnen nicht ausweichen. Nach und nach begannen diese Tiere immer passiveres Verhalten zu zeigen und zogen sich in sich zurück. Die entscheidende Erkenntnis war, dass dieses Phänomen auf menschliches Verhalten übertragen werden konnte und wichtige Einblicke in Aspekte der Depression lieferte.
Das Tiermodell: Ein Auslöser für das Verständnis menschlichen Verhaltens
Seligmans Experimente schufen eine Situation, bei dem unabhängig von den Handlungen eines Tieres, Schocks unvermeidlich waren. Im Laufe der Zeit wurden die Tiere zunehmend passiv, antriebslos und angespannt, ein Verhalten, das menschliche Erfahrungen mit Depressionen widerspiegelt. Dieser Verlust der Kontrolle über ihre Umstände hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihr Wohlbefinden und löste dauerhaften, körperlichen Stress aus.
Das Zusammenspiel von erlernter Hilflosigkeit und chronischen Schmerzen
Viele, die mit chronischen Schmerzen zu kämpfen haben, kennen das. Vielleicht auch Du? Trotz vielfältiger Bemühungen, den Schmerz zu lindern, hält er hartnäckig an. Egal, was ich tue, es gibt höchstens eine kurzfristige Linderung. Schmerzattacken kehren wieder, Morgensteifigkeit ist beim Aufstehen da, die Rückenmuskeln versteifen sich schon nach kurzen Sitzen im Büro. Über die Zeit führt das bei vielen zu Gefühlen von Frustration und folgend Hilflosigkeit.
Der Zyklus der Frustration: Ein gemeinsamer Faden
… und wir probieren alles aus, um davon wegzukommen, oder? Patienten mit chronischen Schmerzen haben oft das Gefühl, alles versucht zu haben – von Medikamenten über physikalische Therapien und Massagen bis hin zu alternativen Ansätzen. Doch der Schmerz bleibt bestehen und untergräbt den Glauben an die Fähigkeit, das eigene Wohlbefinden beeinflussen zu können. In psychologischer Hinsicht nennt man diesen Verlust des Glaubens an die eigene Fähigkeit, Lebensergebnisse zu beeinflussen, eben erlernte Hilflosigkeit, im klaren Gegensatz zur "Selbstwirksamkeit", die den Glauben an die Fähigkeit zur Beeinflussung der inneren, wie auch äußeren Umstande, die einen umgeben, beschreibt.
Befreiung aus den Fesseln
Wie kann man sich aus dem Griff der erlernten Hilflosigkeit im Umgang mit chronischen Schmerzen befreien? Der Schlüssel liegt darin, Fähigkeiten zu entwickeln, eben diese Selbstwirksamkeit zu fördern. Verschiedene Psychotherapien wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) und die Pain Reprocessing Therapy dienen als wirksame Werkzeuge hierfür. Ziel ist dabei weniger, keine Schmerzen mehr zu haben, sondern besser mit ihnen umgehen zu können und das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen und positiv zu gestalten.
Durch aktive Teilnahme kann man dem Zyklus der erlernten Hilflosigkeit entkommen und Selbstwirksamkeit aufbauen.
Die Rolle von Selbsthilfegruppen
Für diejenigen, für die eine professionelle Therapie nicht zugänglich ist, sind Selbsthilfegruppen unschätzbare Ressourcen. Die Unterstützung durch Gleichgesinnte, die ähnliche Herausforderungen bewältigen, bietet eine Gemeinschaft und Verständnis. Meist fehlt genau das in traditionellen Gesundheitseinrichtungen, ist aber einer der wichtigsten Startpunkte in der Reise durch den Schmerz. Diese Gruppen erleichtern den Austausch von Erfahrungen und Strategien und bieten eine unterstützende Umgebung für alle, die diese Hilflosigkeit überwinden möchten. Lernen von denen, die viele der Schritte schon gegangen sind. Wir Schmerzpatienten sind Experten in eigener Sache.
Erlernte Hilflosigkeit im Gesundheitssystem
Erstaunlicherweise kann das Gesundheitssystem selbst unbeabsichtigt zur erlernten Hilflosigkeit beitragen. In der Vergangenheit übernahmen Einzelpersonen mehr Verantwortung für ihre Gesundheit, wobei professionelle medizinische Interventionen nur für die schwersten Fälle vorgesehen waren. Die Entwicklung des Gesundheitswesens zu einer umfangreichen, spezialisierten Branche, ja einer Industrie, hat diese Dynamik jedoch schleichend verändert.
Während die Spezialisierung im medizinischen Bereich zweifellos zahlreiche Leben gerettet hat, hat sie unbeabsichtigt eine Denkweise kultiviert, die besagt: "Überlasse es dem Spezialisten, er wird alles reparieren." Das wird mehr oder weniger offen auch so vertreten. Diese Haltung kann allerdings dazu führen, dass Patienten ihre Verantwortung für ihre Gesundheit und das Leben abgeben und übermäßig auf externe Lösungen vertrauen.
Patienten & Empowerment: Ein Paradigmenwechsel
Trotz der offensichtlichen Förderung von Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem kann die Realität komplexer sein. Patienten sollen aktive Teilnehmer an ihrer Versorgung sein, aber die tief verwurzelte gesellschaftliche Erwartung, passiv auf Spezialisten angewiesen zu sein, behält dennoch oft die Oberhand. Es ist absolut entscheidend, dass wir unsere Rolle bei der Übernahme der Kontrolle über unsere Gesundheit anerkennen und wieder durchsetzen.
Übernahme der Verantwortung für Deine Gesundheit
Um die Verantwortung über die eigene Gesundheit zurückzugewinnen, ist eine aktive Haltung entscheidend:
1. Wissen ist Empowerment:
Vertiefe Dein Wissen über Deine Erkrankung, Behandlungsoptionen und mögliche Selbstfürsorgestrategien.
Informierte Patienten sind selbstbestimmte Patienten.
2. Zusammenarbeit mit Gesundheitsdienstleistern:
Engagiere Dich aktiv im Kontakt mit Behandlern, stelle Fragen und beteilige Dich an Entscheidungen zur Behandlung.
Erkenne, dass Du ein wesentlicher Bestandteil Deines Gesundheitsteams bist.
Fazit: Ein Weg zum Empowerment
Zusammenfassend ist das Zusammenspiel von erlernter Hilflosigkeit und chronischen Schmerzen komplex, aber doch navigierbar. Mit dem Wissen über die Ursprünge dieses psychologischen Phänomens, seine Auswirkungen auf chronische Schmerzen und Strategien, um sich von ihm zu befreien, kannst Du Deinen Weg zu einem aktivieren und erfüllteren Leben beschreiten.
Die Kombination von Psychotherapien, Selbsthilfegruppen und einer aktiven Rolle bei Entscheidungen zur Gesundheitsversorgung bildet einen umfassenden Ansatz, um der erlernten Hilflosigkeit entgegenzuwirken. Durch das Verständnis dieses psychologischen Phänomens und der aktiven Beteiligung an Strategien zur Rückgewinnung von Kontrolle kannst Du den Weg zu einem erfüllteren und schmerzreduzierten Leben ebnen.
Wissen und Aktivität sind die Gegenmittel zur Hilflosigkeit. Durch Bewusstsein, Bildung und aktive Teilnahme kann man seine Lebensrichtungen neu beschreiten und aus den Schatten chronischer Schmerzen treten.
Hast Du es geschafft Hilflosigkeit zu überwinden?
Erzähle davon in den Kommentaren. So können andere davon profitieren.
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